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Meine Damen und Herren!

Die ersten Worte sollen vor allem Worte des Dankes sein. Das Buch, Seiobo auf Erden, das Ihre Aufmerksamkeit und hohe Auszeichnung erhalten hat, verdankt seine Existenz der fabelhaften Bravour der Übersetzerin. Dank also an Frau Heike Flemming! Dank und uneingeschränkte Anerkennung, denn die ganze Sache, die Sache Seiobo auf Erdens, nahm nicht wie üblich ihren Anfang, dass nämlich ein Verlag einen Übersetzer beauftragt. Nein, sie nahm so ihren Anfang, dass ich als Gastprofessor an der Freien Universität Berlin in einer meiner Stunden, nachdem ich zufällig gehört hatte, wie schön klar Frau Flemming Ungarisch spricht, sie von einem plötzlichen Einfall geleitet zufällig fragte, ob sie nicht Lust habe, ein paar Seiten aus einem Text von mir über Filippino Lippi und Botticelli zu übersetzen – und sie hatte Lust. Sie machte es auch, und die Übersetzung war ausgezeichnet. Mir blieb im Sinn, wie gut ihr das gelungen war, und in einer weiteren Stunde an der Universität fragte ich sie von einem anderen plötzlichen Einfall geleitet erneut, ob sie nicht zufällig Lust habe, eventuell den ganzen Text zu übersetzen – und sie hatte Lust. Die Arbeit übertraf alle Erwartungen. Ich fragte mich, woher diese Frau so gut Ungarisch kann. Sie aber fragte ich, sagen Sie, Frau Flemming, haben Sie ungarische Verwandte? Hatte sie nicht. Oder, sah ich sie fest an, sind Sie vielleicht Ungarin? Nein, war die Antwort. Aber wie sprechen Sie dann so gut Ungarisch? Nicht Besonderes, sagte Frau Flemming, ich habe es einfach gelernt. Und woher können Sie so gut Deustch? Frau Flemming lächelte bescheiden. Oh, ganz einfach: es ist meine Muttersprache. Ich zeigte den Text meinem Verlag – und mein Verlag war sehr überrascht, denn diese Übersetzerin kannte er nicht. Das ist ja auch kein Wunder, sagte ich, denn Frau Flemming ist ja eigentlich auch noch keine Übersetzerin, einige kleinere Arbeiten hat sie zwar auf diesem Gebiet schon geleistet, aber eine richtige Herausforderung hatte sie noch keine. Das ist unmöglich, sagte der Verlag. Jemand kann nicht so gut übersetzen ohne jahrelange übersetzerische Praxis. Ich stimmte zu, sagte aber, vielleicht sollten wir, wenn die Dinge schon so stehen und wir beide von ihrer Fähigkeit überzeugt sind, sie fragen, ob sie nicht Lust hätte, zufälligerweise, das ganze Buch zu übersetzen. Der Verlag fragte sie, und sie antwortete, ja, sie hätte Lust.

So begann sie mit der Arbeit.

Viele haben ihr geholfen. In erster Linie die Seele, der Motor beim Enstehen, bei der Erschaffung dieses Buches, Herr Hans-Jürgen Balmes, dem man nicht so lang applaudieren kann, wie er es verdienen würde.

Auch half Frau Flemming eine weitere Lektorin, Frau Isabel Kuspki, deren Gründlichkeit, Hingabe und Genauigkeit nur noch von ihrer Bescheidenheit übertroffen wurde. Und es gab neben Frau Flemming noch eine muttersprachliche Lektorin, Frau Éva Zádor, deren Unterstützung uns allen das Vertrauen und die Überzeugung gab, dass wir auf einem guten Weg sind. Nicht zu vergessen ist natürlich auch Frau Kirsti Pärssinen, die dafür sorgte, dass Aufgaben und Ausführende immer richtig zueinander fanden. Und schließlich war da noch eine große Hilfe – der Verlag selbst, das heißt der S. Fischer Verlag, der bei diesem Buch wie ein guter Geist über uns schwebte, der uns mit seinem Vertrauen in uns und in die Sache Kraft gab, denn wir bekamen einen Freiraum, einen Raum der Möglichkeiten, damit wir das Buch machen konnten. Ich persönlich kann gar nicht genug ausdrücken, wie dankbar ich dafür bin.

Und nun erlauben Sie mir, ein paar Worte darüber zu verlieren, was mir dieser Preis bedeutet. Ich könnte jetzt natürlich erzählen, was für allegorische Bedeutungen das Wort “Brücke“ hat, könnte erzählen, was die Brücke womit verbindet, könnte von der Brücke zwischen der mitteleuropäischen und der deutschen Literatur sprechen, von der großzügigen Initiative der von Herrn Dietmar Schmid und Herrn Louis Graf von Zech geleiteten Stiftung der BHF-Bank, dann von der Brücke zwischen zwei Sprachen, beziehungsweise davon, womit mich dieser Brücke Berlin Preis verbindet – aber verzeihen sie mir, wenn ich mich in dieser feierlichen  Atmosphäre nicht nur nicht auf den schwankenden Boden der Banalitäten begebe, sondern daß ich auch gar nicht erst dorthin aufbreche, wo es einen Ausweg aus diesen Banalitäten gibt. Wenn Sie einverstanden sind, gehe ich kurz auf das Wort selbst ein, darauf, was sich darunter, unter der Brücke verbirgt.

Denn es gibt etwas, worüber wir nicht viel nachdenken, wenn wir das Wort „Brücke“ aussprechen. Ich denke, wir gehen zu schnell über die Brücke hinweg. Zu schnell, was bedeutet, dass wir in dem einen Augenblick noch auf dieser Seite sind, im nächsten schon auf der anderen. Was für eine großartige Brücke, denken wir mechanisch, zwischen den zwei Ufern konzentrieren wir uns nur auf die Brücke, zwei Sprachen, ja, natürlich, zwei Kulturen, ja, natürlich, zwei Ufer, ein leichter Wind geht, ja, natürlich – wir kümmern uns nur um die Brücke, nur darum, wie schön ihr Bogen ist, wie gut es ist, dass es sie gibt, dass wir über sie laufen können, dass wir über sie verkehren können, und natürlich der leichte Wind, das haben wir im Kopf – aber wir haben kaum in diesem Kopf, dass das Wesen der Brücke nicht nur darin besteht, zwei Seiten zu verbinden, einen sonst, ohne sie unmöglichen Verkehr zu ermöglichen, sondern dass sie auch etwas anderes bedeutet. Nämlich, dass es zwei Ufer gibt. Dass also das, was die Brücke in der Höhe und in jenem leichten Wind verbindet, unten niemals einander berührt. Dass die Dinge unverbunden sind, dass sie verschieden sind. Ich meine damit, dass der Begriff der Brücke die Tatsache verdeckt, sozusagen in der Verbindung verschwinden läßt, dass die Dinge, wenn überhaupt, nur durch die Brücke zueinander finden, dass sie in Wirklichkeit voneinander getrennt sind, und so ist die Welt. Milliarden und Abermilliarden unverbundener Dinge – daran denke ich, seitdem der Brücke Berlin Preis an meinem Horizont aufgetaucht ist. Milliarden und abermilliarden Dinge, das Verschiedene, das Getrennte, das Andere und der Andere an sich – diese Begriffe gehen mir durch den Kopf. Und,(!) wie wichtig das für uns ist.
So kann ich schon befreiter aufbrechen mit diesem Buch in der Hand – hinüber, hinüber ans andere Ufer. Zu Ihnen.

Ich danke für den Preis, und ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

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